Wendler und RTLzwei Der peinliche Tiefpunkt des Schmuddelkinds
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Wendler-Show: Ja oder nein? Bei RTLzwei ging man die Frage entweder plan- oder skrupellos an, vermutlich beides. Unsere Kolumnistin ist fassungslos.
Es gibt Wettbewerbe, die möchte kein Mensch gewinnen. Und auch kein Fernsehsender. Zum Beispiel: "Wer ist gewissenloser als soziale Plattformen?". Oder aber die Meisterschaft im "Sich ein ohnehin nicht schimmerndes Image in Windeseile versauen". Beide Challenges, wie Heidi Klum sagen würde, hat RTLzwei mit seiner Wendler-Blamage gewonnen.
Wo Formate wie "Frauentausch" ausgestrahlt werden, in denen Familien am Rande des Existenz- und des Zurechnungsfähigkeitsminimums nach allen Voyeurismus-Regeln der Kunst unseren niedersten Instinkten ausgeliefert werden, dort duftet es nicht lieblich nach Anstand, Anspruch oder Interesse an gesellschaftlich relevanter Information, keine Frage. Seit gestern aber stinkt es bei RTLzwei ganz gewaltig. Nach Skrupellosigkeit, Bräsigkeit und Strategielosigkeit.
Denn es gibt nur zwei mögliche Erklärungen für die ungeheuerliche Idee, Michael und Laura Wendler eine "Doku-Soap" zu schenken. Anders als ungeheuerlich kann man dieses Projekt deshalb nicht nennen, weil Michael Wendler nicht grundlos vom Mitgröl-Song-Barden zum Outlaw mutiert ist.
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr Blog findet man hier.
Wendler hat so lange dermaßen dubiose, verschwörungsideologische Inhalte an der Grenze zur Strafbarkeit und Menschenverachtung auf Instagram und Twitter gepostet, bis sie ihn dort auf die Straße gesetzt haben. Er musste sich dann eine Ecke in der Social-Media-Gosse suchen: bei Telegram.
Dort nehmen sie jeden auf. Auch solche, die den andern Plattformen zu krass sind. Telegram aber ist das, um einen Song des Wendlers aus seiner Vor-Radikalisierungszeit zu zitieren, egal. Extremisten jeglicher Art kennen und lieben die Plattform dafür.
Bei Telegram nehmen sie jeden – auch Schwurbler wie den Wendler
Dort also schwurbelte und hetzte Michael Wendler ungehindert weiter, während die übrige Medienwelt sich von ihm abwandte. Das hatte dermaßen weitreichende finanzielle Folgen für die Wendlers, dass sie sich einem weiteren Schmuddel-Portal zuwandten, nämlich dem unter Porno-Fans äußerst beliebten Only Fans.
Doch nun sollte endlich die Rückkehr ins TV kommen, dank RTLzwei. Dort hat man entweder komplett gar keine Skrupel und sieht vor lauter Euro-Zeichen die gesellschaftliche Verantwortung nicht, die man auch als kleiner Privatsender besitzt – oder aber man hat null Komma null Ahnung von Social Media und vollkommen unterschätzt, wie gut Leute auf dem Schirm haben, wenn jemand wie Wendler in den sozialen Medien regelmäßig komplett entgleist.
Einerseits kann es tatsächlich sein, dass bei RTLzwei Leute ohne Social-Media-Kompetenz sitzen – und im Sender alle ganz überrascht waren, dass die Menschen auf Twitter und anderswo sich wenig begeistert über die neue Sendung äußerten.
Man konnte jedenfalls kaum so schnell durch die empörten Timelines bei Twitter und anderswo scrollen, da hatte RTLzwei schon auf dem Absatz kehrtgemacht: Das Format komme doch nicht, verkündet der Sender nun. Eine Wendler-Wende. Man hatte anscheinend überhaupt nicht damit gerechnet, was diese Ankündigung auslösen würde.
Ob bei RTLzwei niemand mit Social-Media-Kompetenz sitzt?
Andererseits hat die RTLzwei-Schwester Wendler ja schon lange zuvor vor die Tür gesetzt: als Juror von "Deutschland sucht den Superstar". Und die "BILD", die moralisch und intellektuell in derselben Liga spielt wie RTLzwei, hat den Abstieg des Wendlers stets aufmerksam dokumentiert.
Selbst für den extrem unwahrscheinlichen Fall also, dass alle Mitarbeiter des Senders noch nie von den sozialen Medien und ihrem explosiven Empörungspotenzial gehört haben – sie alle wissen, wen sie da vermarkten wollten.
Es war ihnen also egal. Bis der Gegenwind kam. Sogar von RTL. Da erst – und wohl auch nur deshalb – knickte man ein. Jetzt betont man in der Pressemitteilung: "RTLZWEI hat sich immer von Extremismus aller Art distanziert und steht für Weltoffenheit und Toleranz. Es ist uns wichtig, auch nur den Anschein zu vermeiden, dass der Sender hier zu Abstrichen bereit ist."
Entlarvend, dass der Sender so etwas eigentlich Selbstverständliches überhaupt betonen muss. Käme demnächst die Ankündigung einer Kochshow mit Attila Hildmann – die Verwunderung wäre vermutlich nicht so groß. Denn seit gestern gilt RTLzwei als der Telegram-Kanal unter den Fernsehsendern.
- Eigene Recherche